Erzwingungshaft und Gummiparagraphen
von Dagmar Möbius
Mittlerweile ein running gag: Im letzten Jahr musste ich vor Gericht. Mir war Erzwingungshaft angedroht worden. Vom Ordnungsamt! Die „Straftat“: Widerspruch gegen eine angebliche Ordnungswidrigkeit. Ich war weder schwarz noch zu schnell gefahren. Ich habe keine Menschen beleidigt oder verletzt, geschweige denn Schlimmeres. Mein Vergehen: Ich lag Monate zuvor (nur) ein paar Tage richtig krank im Bett, während bei einer Corona-Inzidenz von knapp 800 die Stadt meinte, ein temporäres Parkverbotsschild hinter mein Auto stellen zu müssen, um die Straße zu fegen. Auf dem Stellplatz durfte ich mit Berechtigung stehen. Ich konnte nachweisen, dass ich nicht vorsätzlich falsch geparkt hatte, ärztlich bescheinigt arbeitsunfähig und an den fraglichen Tagen fahruntauglich war.
Haben Sie das Tatfahrzeug [sic] geführt?
Ich schrieb wahrheitsgemäß „nein“, denn das Auto stand mehrere Tage unbewegt.
Die Behörde prüfte meine Anhörung nicht, sondern verhängte sofort ein Bußgeld. Ich beauftragte – auch wegen zahlreicher Formfehler – einen Rechtsanwalt, der sich über den Schwachsinn zunächst totlachen wollte, mich dann aber doch vertrat, der Gerechtigkeit wegen und in der Annahme, dass das „Strafverfahren“ von Amts wegen schnell eingestellt wird. Wurde es nicht.
Die Stadt konnte dem Anwalt weder nachweisen, wann das Parkverbotsschild aufgestellt wurde, noch ob tatsächlich eine Straßenreinigung stattgefunden hatte. Ich war fest entschlossen, in Erzwingungshaft zu gehen, wenn der Rechtsstaat unbescholtene Bürgerinnen kriminalisiert. Aber: mein Verteidiger gab alles, ich wurde nicht eingesperrt.
Die Rechtslage sieht so aus: Fahrzeughalter sind verpflichtet, „regelmäßig“ nach dem Kfz zu schauen und müssen dafür Sorge tragen, dass es bei einem „mobilen Parkverbot“ – wegbewegt werden kann. Was regelmäßig ist, definiert das Gesetz nicht, auch nicht, was man machen soll, wenn man in einer nicht planbaren Situation war wie ich. Verfahren eingestellt. Bußgeld musste bezahlt werden. Verwaltungsgebühr für unsachgemäße Bearbeitung mit angedrohter Zwangsvollstreckung eingetrieben.
Und was gab mir die Richterin mit auf den Weg? Ich solle Verständnis haben, die Verwaltung sei sicher überlastet. Wie bitte? Sorry, für Behördenwillkür und Unverhältnismäßigkeit fehlt mir jegliches Verständnis.
Dem Bürgermeister des übereifrigen Ordnungsamtes habe ich einen Brief geschrieben und ihn gebeten, über transparente und gewaltfreie Kommunikation in seiner Stadt nachzudenken. Mein Gesprächsangebot hat er nicht angenommen. Immerhin bin ich weiterhin nicht vorbestraft.
Um es klar zu sagen, ich habe auch schon Knöllchen erhalten, die berechtigt waren. Dann ärgert man sich kurz, zahlt und vergisst. Aber Abzocke? Ich habe ein paar interessante Zahlen dazu recherchiert. Das Land Brandenburg ist das einzige, das seine Bußgelder nicht veröffentlicht. Zufall? Öffentlich-rechtliche Forderungen (darunter Knöllchen) machen im Haushalt der besagten Stadt eine sechsstellige Summe im Jahr aus. Wäre doch blöd, wenn sich noch mehr Bürger*innen wie ich wehren.
Bei uns doch nicht!? Meine Geschichte ist kein Einzelfall. Ich mache sie öffentlich, weil sie Jeder und Jedem passieren kann. Ist in Berlin im Jahr 2022 im Lockdown hundertfach ähnlich geschehen.
Überall arbeiten Menschen, die Spielraum haben. Sie können Macht und Zwang ausüben und mundtot machen. Sie entscheiden über Schicksale. Falsche Bescheide werden geschickt, Fristen versäumt, Menschen mit Ansprüchen auf Sozialleistungen monatelang hingehalten. Sanktionen statt echter Hilfe. Verzögerte Bearbeitungen in öffentlichen Stellen. Ausreden mit Bart. Lässt sich alles korrigieren. Gummiparagraphen auch.
Unternehmerisch tätige Menschen überleben nur, wenn sie anders arbeiten: menschenzugewandt, klar, lösungsorientiert und konstruktiv. Für gewaltsame, drohende und ignorante Arbeit bezahlt niemand. Wenn Dinge nicht in Ordnung sind, werden sie geändert. Sofort. Das ist gelebte Fehlerkultur.
Das soll in öffentlichen Stellen nicht möglich sein? Oder ist es eine Frage von Macht und Geld?

Dagmar Möbius ist Journalistin und Autorin.
Sie recherchiert und schreibt vorrangig über Themen aus den Bereichen Gesundheit und Soziales für Zeitungen, (Fach-)Magazine und Onlinemedien. Sie erstellt Texte für Imagebroschüren und Webseiten, verwandelt Vorlagen in lesbare Formate und führt bei Bedarf Workshops durch. Seltener –
nur wenn ein Konzept sie überzeugt – berät, konzipiert und betreut sie die Presse- und
Öffentlichkeitsarbeit von Unternehmen.
