Wehret den Anfängen!
von Dagmar Möbius
Wenn dieser Blogbeitrag veröffentlicht wird, werde ich eine fast zehn Jahre dauernde Recherche weitgehend abgeschlossen haben. Es war ein Freizeitprojekt ohne Auftraggeber. Also ohne Honorar, auf eigene Kosten und vom durchgetakteten Zeitreservoir abgeknapst. Warum macht man so etwas, wo doch Zeit Geld ist, wie es immer so schön heißt?
Einem Familiengeheimnis auf der Spur
Als ich durch Zufall auf das Schicksal einer 1941 auf unnatürliche Weise ums Leben gekommenen 35-jährigen Frau stieß, hatte ich unzählige Fragen zu einem bis dato gut gehüteten Familiengeheimnis. Aber kein einziges Dokument. Keine Geburtsurkunde, kein Foto, keine Erinnerungen, einfach nichts. Dennoch begab ich mich auf Spurensuche. Die führte mich in x Archive und mit Expert*innen für Geschichte, Politik, Justiz oder Medizin zusammen. Ich las Dutzende Bücher und wertete Dokumente aus, um ein Gefühl für die Zeit und den Ort zu bekommen. Puzzlestück für Puzzlestück konnte ich Fragmente des Lebens der jungen Frau rekonstruieren.
„Bei-uns-doch-nicht!-Momente“
Sehr viele Menschen unterstützten meine Recherche auf verschiedenste Art und Weise. Und doch gab es „Bei-uns-doch-nicht!-Momente“. Wer will schon mit einem Kriminalfall in unmittelbarer Nachbarschaft zusammengebracht werden? Bei meinem ersten Besuch in Strausberg, dem Wohnort meiner Urgroßeltern, hatte ich nur eine vage Ortsangabe. Der in Erfahrung gebrachte Tatort in einer Gartenkolonie stellte sich als riesige Fläche heraus. Ohne weitere Informationen würde ich hier kaum weiterkommen. Ich musste mir etwas einfallen lassen. So fragte ich in ihren Kleingärten hantierende Menschen nach den ältesten Gebäuden der Siedlung. Worum es wirklich ging, sagte ich nicht. Ein spazierendes Ehepaar hätte mir gern geholfen, war aber erst kürzlich zugezogen. „Sind Sie wegen dem Mörder hier, den sie endlich eingelocht haben? Hier wird keiner mit Ihnen reden, die wollen alle ihre Ruhe haben.“ Wie bestellt knallte eine Gartentür zu.
Suizid oder Mord?
Einige Zeit später kannte ich den genauen Tatort. Doch der Recherchedurchbruch kam erst, als ich die Mordermittlungsakte fand. Nun erst gelang ein Blick in die damalige Zeit. Jetzt hatte auch ich einen „Bei-uns-doch-nicht!-Moment!“. War mein Großvater, dessen erste Frau ums Leben kam, ein Nazi? Ich habe ihn nicht mehr kennengelernt, er starb im Jahr, nachdem ich geboren war. Kam er gar als Täter in Frage? Kein Wunder, dass über den Todesfall geschwiegen wurde. Doch für einen Mord hätten noch weitere Personen ein Motiv gehabt. Die Akte wurde sehr schnell geschlossen. Die Frage, ob es sich um Suizid oder (fingierten) Mord gehandelt hat, beantwortete der damals renommierteste Gerichtsmediziner Berlins, der die Obduktion durchführte, mit Wahrscheinlichkeitsannahmen. Diese widersprachen der Auffindesituation und teils der Logik. Aber sie passten in die Zeit. Was ein Rechtsmediziner aus heutiger Sicht dazu sagt, wie sich die Nachbarn zur Toten äußerten und warum sie starb, werde ich in einem Buch erzählen.
Der Umgang mit Menschen, die anders sind
Was sich bis heute wenig geändert hat, ist der Umgang mit Menschen, die anders sind. Anstatt zu fragen, wenn man etwas nicht versteht, wird schnell gewertet, abgewertet oder ignoriert. Mit unserem Verhalten und unseren Worten können wir Personen anziehen, abstoßen oder vernichten. Bei meiner Recherche hatte ich Augenblicke, in denen ich kaum Unterschiede zwischen aktueller und historischer Berichterstattung feststellen konnte. Der Umgang mit Fremden, Kranken, sozial Schwachen wie auch mit vermeintlich konkurrierenden Personen ist oft unakzeptabel. Gewaltsame Sprache richtet immense Schäden an. Damals wie heute. „Wehret den Anfängen!“ war daher neben anfänglicher Neugier mein stärkstes Motiv für meine langjährige nichtkommerzielle Recherche. Es freut mich sehr, dass Gunter Demnig Mitte Februar 2023 einen Stolperstein am einstigen Tatort verlegt hat. „Bei uns doch nicht!“ kann man in diesem Fall nicht mehr sagen.

Lösungen statt Trennwände
Was diese Geschichte mit unserem Netzwerk zu tun hat? Natürlich gibt es auch bei uns wie in jeder Gruppe gelegentlich Differenzen. Doch die werden sachlich und wertschätzend geklärt, miteinander und konstruktiv. Das ist nicht immer angenehm. Aber wir schaffen keine Trennwände, sondern finden Lösungen. Mit Kritik souverän umzugehen, ist eine Fähigkeit, die insbesondere Solo-Selbstständige haben müssen, um erfolgreich arbeiten zu können. Hinter dem Rücken reden, ausgrenzen oder mobben, das gibt es bei uns wirklich nicht! Zum Glück.
Dagmar Möbius ist Journalistin und Autorin.
Sie recherchiert und schreibt vorrangig über Themen aus den Bereichen Gesundheit und Soziales für Zeitungen, (Fach-)Magazine und Onlinemedien. Sie erstellt Texte für Imagebroschüren und Webseiten, verwandelt Vorlagen in lesbare Formate und führt bei Bedarf Workshops durch. Seltener –
nur wenn ein Konzept sie überzeugt – berät, konzipiert und betreut sie die Presse- und
Öffentlichkeitsarbeit von Unternehmen.
