Stolpersteine auf dem Weg in die Selbstständigkeit oder darf ich so viel Geld verlangen?

von Selma Reese

Frauen, die sich selbstständig machen, erzählen meistens begeistert, wenn es um die Inhalte geht. Sie legen großartige Konzepte vor, sind supergut ausgebildet und haben kluge Ideen, wie sie ihr Marketing gestalten. Doch bei der Frage nach dem Stunden- oder Tagessatz kommt häufig ein tiefes Seufzen oder eine lange Pause. Drucksend und zögerlich folgt eine Erklärung, dass sie ja deswegen zu mir kämen. Warum fällt es Frauen oft so schwer, einen angemessenen Preis zu verlangen?

Die Frage nach dem Geld scheint für viele eine Gretchenfrage zu sein. Plötzlich wirken eben noch taffe Frauen unsicher. Es folgt ein Lächeln oder sie legen den Kopf auf die Seite, fast wie ein kleines Mädchen, dass sich etwas wünschen darf, aber sich nicht traut. Und das geht nicht nur Selbstständigen so, sondern auch viele angestellte Frauen fühlen sich nicht wohl dabei, wenn sie ihr Gehalt verhandeln müssen. Woher kommt dieses Unbehagen?

Eine Spurensuche

Offensichtlich entspricht dieses Verhalten einem Muster, das seinen Ursprung in der Erziehung hat. „Bescheidenheit ist eine Zier“, „über Geld spricht man nicht“, „Geld verdirbt den Charakter“, „Geld ist nicht so wichtig“, „sei zufrieden mit dem, was du hast“ – so oder so ähnlich lauten oft gehörte Sprüche aus der Kindheit, die verinnerlicht wurden und dann heute etwa so klingen: „Geld ist für mich nicht so wichtig, ich möchte tun, was ich gut kann, und das mache ich gern.“ Oder: „Ich brauche nicht so viel zum Leben, ich möchte etwas Sinnvolles tun.“ Oder auch: „Ich möchte, dass sich alle Menschen mein Angebot leisten können, auch jene, die nicht so viel Geld haben.“

Wir wissen, dass alte Rollenmuster lange nachwirken. Das Bild vom Mann als Familienernährer und der Frau, die etwas dazuverdient, wabert noch in vielen Köpfen. Eine dringend reformbedürftige Steuergesetzgebung tut ihr Übriges. Und auch im 21. Jahrhundert ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein vielfach ungelöstes Thema. Nicht zuletzt, weil sich Frauen eine bessere Kompatibilität und größere Freiheit versprechen, entscheiden sie sich für die Selbstständigkeit oder Teilzeitarbeit – wohl wissend, dass sie weniger Zeit für ihr berufliches Fortkommen aufwenden können.

Gender Pay Gap

Frauen verdienen weniger als Männer. Das ist eine Tatsache. In Deutschland beträgt der unbereinigte Gender-Pay-Gap – also der Blick auf die absoluten Bruttoverdienste – 18 % und der bereinigte – also unter Berücksichtigung struktureller Unterschiede wie z.B. Berufswahl oder Beschäftigungsumfang – 7 %.

Bei Selbstständigen ist der Anteil Männer unter den Selbstständigen fast doppelt so hoch wie der an Frauen. Und das Einkommen der Frauen in der Selbstständigkeit liegt fast 44 % unter dem der Männer.[1]


„Frauen werden systematisch schlechter bezahlt, einfach weil Unternehmen damit davonkommen, ohne wirkliche Konsequenzen fürchten zu müssen, und weil die Ansicht vorherrscht, ihre Arbeit sei weniger wertvoll – und zwar nicht unbedingt, weil ihre Arbeit als Frau weniger wert ist, sondern weil die Tätigkeiten, die sie ausüben, weniger Ansehen genießen.“[1]

Typische Frauenfallen

Bei einigen Frauen scheint es verpönt zu sein, überhaupt Geld für ihre Tätigkeiten zu verlangen. Andererseits verhandeln inzwischen immerhin 38 % der Frauen (gegenüber 44 % der Männer) regelmäßig ihr Gehalt. Da haben Frauen aufgeholt.

Die an sich schöne – dem weiblichen Geschlecht zugeschriebene – Eigenschaft der Fürsorglichkeit, wendet sich in beruflicher Hinsicht allerdings oft gegen die Frauen. Die „typischen Frauenberufe“ im Erziehungs- und Gesundheitswesen sind noch immer schlechter bezahlt und genießen weniger Ansehen – somit wird Fürsorglichkeit immer noch zur Falle. Und, man mag es kaum glauben, in manchen gesellschaftlichen Kreisen geraten Frauen in die Rechtfertigungsfalle, weil sie arbeiten wollen. Selbstverwirklichung ist nicht überall ein akzeptierter Grund.

Darüber hinaus sind selbstständige Frauen oft Meisterinnen im Schön-Rechnen: wenn sie ihr Angebot kalkulieren, werden häufig die tatsächlichen Kosten, z.B. die Vor- und Nachbereitungszeit einer Dienstleistung nicht einberechnet. Es fällt vielen schwer, in Zahlen auszudrücken, was sie machen. Und wenn sie dann doch mal für den Businessplan kühl berechnen und ihre Leistungen realistisch kalkulieren und eine Vollkostenrechnung aufstellen, sind sie oft von der Höhe erschreckt. „Dann müsste ich ja das Doppelte verlangen“, heißt es entsetzt. „Darf ich – kann ich so viel Geld verlangen?“

Stolperstein Geld

Die Ausgangsfrage führt in die Irre. Zu wenig verlangen heißt nicht nur, seine Leistung unter Wert zu verkaufen. Wer Dumpingpreise macht, verhält sich nicht nur unsolidarisch gegenüber anderen Frauen, sondern zementiert die BIAS, dass Frauen weniger verdienen und stärkt damit das patriarchale System.

Wie soll ein Arbeitgeber oder ein Kunde eine Leistung würdigen, wenn Frau es selbst nicht tut? Hier ist eine Änderung der Haltung dringend nötig. Wer sich jetzt ertappt fühlt und alten Mustern auf den Grund gehen und damit aufräumen möchte, sollte mal unter www.frauenseminare.online schauen.


[1] „Die Studie (Solo-)Selbstständigkeit als gleichstellungspolitische Herausforderung des Instituts für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e.V. und Bundesregierung aus dem Jahr 2017 stützt sich unter anderem auf die Einkommenssteuerstatistik.“ FAZ, 13.06.2022


[2] Ute Clement, Frauen führen besser, Heidelberg, 2022

Selma Reese ist Dipl. syst. Coach (ECA) und Trainerin mit Schwerpunkt Karriere-Coaching, Berufsorientierung und Existenzgründungsberatung. Sie moderiert Workshops, hält Seminare u.a. zur Persönlichkeitsentwicklung und Selbstmarketing und berät darüber hinaus Fach- und Führungskräfte.

Mehr Informationen unter info@selma-reese.de.

Unternehmerinnen, die zu wenig Geld verlangen, verkaufen sich unter Wert. Foto: Karolina Grabowska

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