Geteilte Macht ist doppelte Macht!
von Carola Garbe
Kennt ihr das Sprichwort: „Glück ist das Einzige, was sich verdoppelt, wenn man es teilt?“
Gilt das vielleicht auch für MACHT?
Ich habe es ausprobiert. Und es ist sehr cool und befreiend, DIE Macht zu teilen. Macht ist laut Duden die Gesamtheit der Mittel und Kräfte, die jemandem oder einer Sache anderen gegenüber zur Verfügung stehen.
Aber der Reihe nach.
Ich bin Generation der Babyboomer, habe mein gesamtes Berufsleben Vollzeit gearbeitet, bin in Berlin-Köpenick groß geworden und langsam aber stetig in der Hierarchie des Unternehmens nach oben gewandert. Zuletzt war ich als Leiterin HR Management für alle HR Prozesse innerhalb eines Regionalbereiches von 5.000 Mitarbeitenden zuständig und berichtete direkt an den Vorstand des Unternehmens von ca. 45.000 Mitarbeitenden. Mein normaler Tag war gut gefüllt: 8:00-18:00 Termine, am Abend Netzwerken, am Wochenende Vorbereitung und strategische Überlegungen.
So ging es Jahr aus Jahr ein. Ich habe das nicht hinterfragt, kannte es nicht anders und es hat mir Spaß gemacht.
Es gab Momente, in denen knifflige Fragen, Entscheidungen, kritische Situationen zu managen waren, das war normal. Ich habe erwartungsgemäß funktioniert, Coaches gehabt, meine Familie genutzt und mich auf meine immer wachsende Erfahrung verlassen. Ich habe es selbst nicht als Macht betrachtet … aber natürlich habe ich Macht – über mich selbst, Entscheidungen, Entwicklungen.
Je älter ich wurde, desto häufiger hinterfragte ich die Macht und meine getroffenen Entscheidungen.
Und mich beschlich das Gefühl, ich verpasse etwas im Leben. Da waren meine Freunde, die sich spontan abends zum Spieleabend oder im Theater trafen. Meine Spontanität war ein Zwei-Monate- Rhythmus. Immer präsenter wurde meine Erkenntnis: Jedes JA für eine Sache ist auch ein NEIN für eine andere Sache. „Keine Zeit“ ist nur ein Synonym für: Etwas anderes ist mir wichtiger. Es war auch für mein Umfeld absolut klar. Das ANDERE war bei mir die Arbeit.
Immer öfter beschäftigte ich mich mit der Idee, kürzer zu treten. Aber, was heißt das für mich?
Auf was kann und will ich verzichten? Meine Entscheidung war dann: Ich will mehr Zeit für andere Interessen und gebe dafür auch Geld her. Am meisten beschäftigte mich allerdings, wie ich das mit meinem Anspruch an Gestaltung der Arbeit meines Jobs vereinbaren kann. Bin ich bereit, MACHT abzugeben? Meine Familie war der Meinung: NEIN, das kannst Du nicht. Ich sah keinen Weg. Bis ich auf Jobsharing oder auch Shared Leadership aufmerksam wurde. Aber was ist das?
Jobsharing ist ein Arbeitszeitmodell, bei dem sich mindestens zwei Mitarbeitende eine Vollzeitstelle teilen. Sie erfüllen gemeinsam die vertragliche Arbeitszeit. Es ist ein lebensphasenorientiertes Modell und es gibt keine Blaupause. Jedes Cupple entwickelt seine eigene Arbeitsweise und Aufteilung der Führung und Arbeitszeit. So gibt es viele verschiedene Möglichkeiten.
Das erschien mir als eine tolle Idee. Ich fand in meiner langjährigen Stellvertreterin eine Verbündete und Sharing-Partnerin. Gemeinsam teilten wir uns jetzt seit vier Jahren den Job, inzwischen sind wir gemeinsam gewechselt. Die Grundvoraussetzung unserer Zusammenarbeit ist Vertrauen. Aber nicht Gleichnis.
Nun hatte ich endlich mehr Zeit für meine anderen Interessen.
Und da war das Thema MACHT abgeben. Theoretisch hatten wir es durchgespielt. Aber praktisch …
Ich teilte von nun an direkt Entscheidungen, das Team betreffend. So war ich nicht erzogen. Das war nicht leicht. Jede Entscheidung hat immer auch Auswirkungen auf uns beide und ich musste Entscheidungen akzeptieren, die ich nicht selbst getroffen habe. Es hat ca. sechs Monate gedauert …
Langsam lernte ich, wie befreiend es ist, für jedes Thema eine vertraute Ansprechpartnerin zu haben, die mit mir mit gleichen Voraussetzungen und auf Augenhöhe diskutiert. Wir profitieren beide von den Erfahrungen der anderen. Unsere unterschiedlichen Lebensläufe sind für die verschiedenen Problemstellungen im Job enorm hilfreich. Wir sind in der Ideenfindung oder Konfliktlösung ziemlich unschlagbar. Und wenn wir einen menschelnden Konflikt vorfinden, kann der auch sehr galant von derjenigen gelöst werden, die den besseren Draht zu der anderen Partei hat. Wir akzeptieren einfach, dass es auch im Berufsleben menschelt. Dabei sind wir uns nicht immer einig und auch sehr unterschiedlich.
Gerade das betrachten wir als unsere Stärke. Ich spreche hier nicht von „Friede, Freude, Eierkuchen“, sondern von guten Gesprächen, Kommunikation bei unterschiedlichen Meinungen, Transparenz von Entscheidungsprozessen für die Beteiligten in dem Kontext, in dem man sich befindet.
Wir sagen heute, wir sind eine berufliche Ehe eingegangen. Mit klaren Regeln zur Kommunikation und mit geplanter gemeinsamer Zeit für wöchentlichen Austausch. Bis heute die beste Entscheidung.
Die Art, wie wir beruflich leben, lässt sich aus unserer Sicht auch grundsätzlich auf Führung im Unternehmen übertragen.
Die Art, wie Führungskräfte über die anderen Abteilungen sprechen oder wie sie handeln, hat direkte Auswirkung auf die Kultur im Unternehmen. Ob Führung nun hierarchisch oder agil gelebt wird, ist für diese Auswirkung aus meiner Sicht unerheblich.
Auch im familiären Rahmen hat die Art, wie die Eltern miteinander umgehen, direkte Auswirkung auf die Umwelt, Kinder, Schwiegereltern und Freunde.
All das ist Macht – immer. Deshalb müssen wir darüber sprechen, um für die Zukunft etwas klarzustellen und bewusst damit umzugehen. Und ich sage bewusst nicht BESSER zu machen …, sondern ANDERS.