Bei uns doch nicht. Wir reden über Macht und Geld. Das Beste der Podiumsdiskussion:
Nachdem wir zuerst unseren stillen Heldinnen und Helden für Ihre Unterstützung unserer 2023-er Frauenwoche-Veranstaltung am 15. März 2023 in der Orangerie Oranienburg gedankt haben, folgt hier ein Best-of der Podiumsdiskussion. Live is live, aber: Die rund einstündige Diskussion wurde aufgezeichnet und transkribiert. Markante Gesprächspassagen und Kernsätze geben wir hier wieder. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit, aber um die Stimmung etwas nachvollziehen zu können. Die Reihenfolge der Zitate erfolgt chronologisch und auszugsweise:
Elke Beune:
Orafol ist ein Oranienburger Traditionsunternehmen. Warum ich hier heute sitze? Weil wir einiges vorzuweisen haben: Bei Orafol sind 43 % der Führungskräfte weiblich. Es gibt kein Gender Pay Gap. In diesen zwei sehr wichtigen Disziplinen sind wir in Brandenburg überdurchschnittlich gut.
Als Kommunikatorin spreche ich über Themen der Gleichberechtigung innerhalb von Partnerschaften und trage das als Führungskraft in meinem Team auch in den Berufsalltag. Ich habe zum Beispiel meine Kolleginnen, die häufig Kind-krank-Tage übernehmen, nach dem Warum gefragt – und das ohne daran Kritik zu üben. Diese Gespräche waren sehr interessant. Dahinter steckt häufig eine Scheu, innerhalb der Partnerschaft zu sagen: „Ich möchte das eigentlich nicht.“ oder „Ich mache das, weil mein Partner sehr, sehr gute Gründe dafür anführt, warum das so sein muss.“ Dann kann es sehr hilfreich sein, als Führungskraft zu spiegeln, dass die Anwesenheit der Frau in meinem Team, ihre Leistung, ihr Engagement auch wichtig und gleichwertig ist zum Engagement ihres Mannes oder Partners oder Partnerin in deren Organisation.
Kristin Derfler:
Ich bin in der Kreativbranche selbstständig und habe immer sehr unterschiedliche Produktionspartner und Auftraggeber. Es gibt Abgabetermine, die unbedingt einzuhalten sind. Wenn ich an einer Serie arbeite, gibt es ein bestimmtes Drehfenster und in der Zeit muss produziert werden. Ob ich krank bin oder nicht, ist ziemlich egal. Die Drehbücher müssen fertig werden. Und das begleitet mich die letzten 25 Jahre und ist mir nicht immer gut bekommen.
Vorhin hat die Gleichstellungsbeauftragte von Macht und Geld gesprochen. Das ist wirklich etwas, was wir Frauen uns gar nicht genug klarmachen können. Das Einzige, was wirklich punktet, sind Zahlen und Fakten. Ich habe mit meiner Kollegin und Freundin Annette Hess (u.a. „Ku’damm“ und „Weißensee“), den Pussiwrita Club gegründet. Da haben wir diese Tatort-Studie als auch eine Serienstudie beauftragt. Was die wenigsten wissen: Im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ist der Tatort nicht nur das sonntägliche Lagerfeuer, wo sich alle treffen, egal wie alt sie sind oder wie schlecht der Film ist, er wird geguckt. Das bestbezahlte Format im öffentlich-rechtlichen Fernsehen! Bis vor einigen Jahren haben gerade mal 7 % aller Autorinnen für dieses Format schreiben dürfen.
Teilweise bedienen auch Redakteurinnen patriarchalische Strukturen, Eine sagte mir offen ins Gesicht: „Frauen können keinen Krimi schreiben. Ich arbeite grundsätzlich nur mit Männern.“ Damals war ich doof, habe die Zähne zusammengebissen und gedacht, dann muss ich halt noch besser werden, ich muss noch mehr Leistung bringen.
Ich hoffe, dass die Generation unserer Kinder mit einem Selbstverständnis 50:50 im Leben praktiziert. Wir brauchen die Quote. Es geht nicht anders. Ich möchte nicht in der halben Demokratie leben, sondern ich möchte in der ganzen Demokratie leben.
Jenny Fulde:
Frau kann mit Geld und anderen Leuten was über Geld erzählen. Für mich ist es selbstverständlich, dass sich Männer und Frauen die Arbeit teilen. In meiner eigenen Familie ist das so und wenn die Kinder krank sind, dann wird geschaut, wer die wichtigeren Termine hat und wer war beim letzten Mal dran? Wir gehen da ganz pragmatisch vor.
Carola Garbe:
Ich habe mein Leben lang voll gearbeitet. Zum Schluss war ich für 5.000 Mitarbeitende verantwortlich. Es kam der Moment, als ich mich fragte, ob es vielleicht noch andere Dinge im Leben gibt? Man kann Macht übrigens ziemlich genießen.
Heute praktiziere ich job sharing. Ich teile mir den Job mit einer Kollegin. Das heißt im Klartext, dass wir in einer Woche Entscheidungen treffen und in der anderen Woche mit der Entscheidung leben, die die Kollegin getroffen hat. Das hat mit mir eine Menge gemacht. Natürlich verzichte ich auf Geld. Ich habe mir Zeit gekauft und ich habe Macht abgegeben.
Katharina Tolle:
Macht kommt von Machen. Aus meiner Sicht hat das tatsächlich miteinander zu tun. Denn das eine ist zu sagen, was passiert und das andere, es umzusetzen. Das ist genau das, wo wir im Familienbild nach wie vor nicht gleichberechtigt sind. (…) Ich weiß nicht, ob es bei euch den Spruch zu Hause gab. Warte nur, bis Papa nach Hause kommt…
Geld spielt eine Rolle. Zu sagen, ich gehe arbeiten, weil ich das Hauptgeld in die Familie bringe, ist auch eine Form von Macht. Man kann sich rausziehen, wenn man das will.
Eine Person, die kein eigenes Geld verdient, kann nicht sagen: „Ich ziehe mich ‘raus und dann gucken wir mal, wie es weiterläuft.“ Deshalb ist Macht für mich etwas, was wir täglich leben und über das wir viel zu wenig sprechen. Weder in Bezug auf systemische Faktoren noch in Bezug zur Familie. Konkret: Was können wir gegenseitig durchsetzen? Ich habe meine Macht zu Hause durchgesetzt, indem ich gesagt habe, ich möchte, dass heute die Kinder nicht da sind, obwohl wir hier eine Kinderbetreuung haben, weil ich mich auf mich konzentrieren will. Ansonsten bin ich, selbst wenn ich weiß, dass sie versorgt sind, mit einem Ohr da drüben, und das will ich nicht. Ich habe diese Macht eingesetzt in dem Sinn, dass ich gesagt habe, vier Monate haben uns auf diesen Tag heute vorbereitet.
Morgen geht mein Mann dafür ins Kino. Das ist okay so. Es funktioniert aber nur, weil wir bereit sind, darüber zu sprechen. Und zwar jeden Sonntag, eine verdammte Stunde. Wie sieht die nächste Woche aus? Was wenn eins der der drei Kinder krank wird? Wer bleibt an welchem Tag zu Hause? Das heißt, wir müssen es vorher planen. Und diese Macht müssen wir uns gegenseitig zugestehen.
Kristin Derfler:
Ich komme aus einer sehr patriarchalischen Familie, in der alte Muster gelebt wurden. Meine Familie ist, als ich sieben Jahre alt war, aus Österreich nach Deutschland ausgewandert, von Wien nach Hamburg. Das war wirklich hart, mental hart. Meine Mutter war Hausfrau. Die hat von morgens bis abends hart gearbeitet. Sie hat alles gemacht, was alle anderen eben liegen gelassen haben. Für mich war deswegen ganz, ganz wichtig, ich möchte erwerbstätig sein. Das ist für mich ein großer Unterschied zur Arbeit. Weil: Sie hat viel gearbeitet. Ich glaube, es gibt auch Frauen, die so unendlich viel arbeiten, aber sie verdienen kein Geld. Und für mich ist wirklich das Geld das, was mir Macht gibt, weil ich unabhängig bin, weil ich entscheiden kann, was ich tue, ob ich in Urlaub fahre, ob ich nicht in Urlaub fahre, ob ich einen Auftrag mache, ob ich keinen Auftrag mache, was ich abends mache, was ich nicht mache. Das ist ganz wichtig. Meine Mutter hatte kein Geld, die war immer darauf angewiesen, meinen Vater zu fragen. Für mich der absolute Horror. Deswegen glaube ich, habe ich diesen ganz harten Weg gewählt. 60 Stunden, das ist ja wohl das Minimum, was man so in der Woche wegrocken muss, sonst kann man ja gar nicht mithalten. Meine Tochter (23) findet, Life-Work-Balance muss man lernen.
Es geht wirklich darum, das aufzuteilen, also nicht 60 Stunden runter zu kacheln, sondern zu sagen: ja, vielleicht geht auch 30, aber du dann bitte auch. Es muss neue Modelle geben. Wie Ihr das bei Orafol lebt, das finde ich vorbildlich.
Elke Beune:
Der Wohlfühljob reicht manchmal nicht, um eine kritische Masse an Rentenpunkten zu erreichen. Ich kann mir alles wünschen, aber es gibt Realitäten, denen muss ich mich stellen und da muss ich mir vergegenwärtigen, dass das eine das andere bedingt. Wenn ich weniger arbeite, werde ich im Zweifelsfall weniger Geld zur Verfügung haben. Das sehen wir auch im Unternehmen: Lieber in Teilzeit zu arbeiten ist kein geschlechterspezifisches Thema mehr. Aber mir muss klar sein, ich kassiere im Zweifel die Rechnung dafür.
Jenny Fulde:
Zeit ist Geld und wer mehr Zeit haben möchte, muss es sich leisten können, dann später darauf zu verzichten. Auf jeder Renteninformation steht: Bitte denkt daran, das was wir hier leisten, das wird nicht reichen. Jeder ist angehalten, auch privat vorzusorgen. In meinen Beratungen begegnen mir ganz oft Paare mit getrennten Kassen. Früher war das üblich, dass man alles in eine Kasse geschmissen hat. Heute hat jeder so seins und jeder kümmert sich eben auch um seine Rente.
Wenn nicht genug übrigbleibt, muss ich überlegen: Will ich im Rentenalter keine Abstriche machen und vernünftig dastehen, gehe ich lieber jetzt mehr arbeiten. Ich kümmere mich darum, dass ich diese Lücke schließen kann. Oder ist mir bewusst, dass ich im Rentenalter dann vielleicht zur Tafel laufe und mir dort mein Mittagessen finanzieren lassen muss?
Elke Beune:
Altersarmut ist weiblich, das ist ein Riesenproblem und die Gründe sind vielschichtig. Aber ein Grund ist nach wie vor, dass Frauen ihre Gehälter zu schlecht und zu wenig intensiv verhandeln. Sie fragen zu selten nach Gehaltserhöhungen über den gesamten Zyklus ihrer Berufstätigkeit. Wer 30 Stunden arbeiten möchte, muss extra hart verhandeln und in der Lage sein, die eigene Qualifikation und Erfahrung besonders gut in den Vordergrund zu stellen – so wie es Männer tun.
Kristin Derfler:
Wir müssen lernen einzufordern und zu sagen: Das bin ich wert und das möchte ich haben. Mittlerweile formuliere ich sehr klar, was ich möchte und wie ich etwas möchte. Aber ich habe auch gemerkt, dass sich per Buschfunk herumspricht, dass man schwierig oder anstrengend sei. Die Vertragsverhandlungen für mein Tatort-Drehbuch zogen sich anderthalb Jahre hin. Das läuft bei uns über Agenten. Ich habe mich bei Kollegen nach dem Verdienst erkundigt und bin von einer Ohnmacht in die andere gefallen. Das Verrückte war: Obwohl ich bis dahin immerhin schon 14 hochwertige Drehbücher geschrieben hatte, hieß es: Ja, aber du hast ja noch nie einen Tatort geschrieben. Das wäre wie, wenn ein Arzt nach 1000 Blinddarmoperationen das erste Mal eine Galle operiert und man ihm vorwirft, das sei das erste Mal.
Carola Garbe:
Ich beschäftige mich seit langem mit Frauenpolitik, auch in Ombudsstellen, unter anderem mit sexueller Belästigung und Konfliktmanagement. Aber seitdem ich die Frauen im Netzwerk kennengelernt habe, ist mir klar, wie schwierig so etwas in der Freiberuflichkeit ist. Das ist eine komplett andere Welt als die in Großkonzernen oder in Großunternehmen.
Eine ganz spannende Diskussion zum Geldthema ist: Wie lange habt ihr gebraucht, um euren Preis zu finden, den ihr beim Kunden aufruft? Das ist unheimlich schwierig zu überlegen, wenn man sich selbstständig macht.
Katharina Tolle:
Mein Stundensatz war zweistellig. Ich habe den Trick angewandt, von der Kleinunternehmer-Regelung in die Regelbesteuerung zu gehen. Dann war es der gleiche Betrag plus Umsatzsteuer, aber nun war er dreistellig. Das Finanzamt wollte es so und ich habe mich so daran gewöhnt. Alleine hätte ich es nicht geschafft.
Kristin Derfler:
Ich finde es für mich persönlich ganz großartig zu erleben, wenn ich aus meiner Blase mal ‘raustrete. Was für tolle Frauen es gibt! Also wirklich! Und dass auch Männer im Publikum sitzen, wäre vor ein paar Jahrzehnten undenkbar gewesen. Ich denke, wir sind auf einem prima Weg.
Nicole-Kristina David-Ulbrich:
Sprechen Sie über diese Themen, sprechen Sie über Geld und sprechen Sie über empfundene Ungerechtigkeiten in Ihrem Nahumfeld, in Ihrem nächsten Umfeld.
Und noch eine Sache. Das Gefallenwollen ist etwas zutiefst Weibliches. Wir müssen uns immer etwas beweisen, beweisen, beweisen. Und das kann niemand für uns lösen. Strukturelle Sachen müssen wir für uns selbst lösen. Für diejenigen von Ihnen, die dafür empfänglich sind: Suchen Sie sich einen Coach. Das ist extrem gut investiertes Geld. Und ja, schauen Sie, was kann ich selbst ändern?
Carola Garbe:
Ich stehe für Sisterhood. Ganz klar. Wir helfen uns untereinander. Das ist mein Thema. Und ich glaube, dass Netzwerken das neue Geld ist. Nicht nur unter Frauen. Sondern bitte auch mit den Männern. Es hat immer der verloren, der sich keine Unterstützung holt, wenn er welche braucht.
Elke Beune:
Der Punkt ist finanzielle Unabhängigkeit. Ob ich die mit einem Vollzeit- oder Teilzeitjob oder wie auch immer erreiche. Als Unternehmen flexibilisieren wir die Arbeitszeiten, wir zahlen übertarifliche Löhne. Wir setzen uns in Oranienburg auch für das Thema Kinderbetreuung usw. ein. Wir haben ein Auge darauf, wie divers sind unsere Teams. Dennoch: Alleine können die Unternehmen das nicht leisten. Das ist eine politische Aufgabe.
Carola Garbe:
Wir haben das Podium sehr bewusst nicht politisch besetzt. Wir wollten Frauen, die aus ihrem Leben erzählen. Daraus können wahrscheinlich alle am meisten für sich mitnehmen. Meine Botschaft: Jede*r kann darüber nachdenken, was Macht in meiner Familie und in meinem Job heißt und dann vielleicht selbst Dinge ändern.
Es gibt eine Menge gesellschaftliche Initiativen in diesem Land. Es reicht nicht festzustellen, dass etwas nicht gut ist, sondern man kann sich denen anschließen, die etwas ändern wollen. Wir haben eine Diskussion angestoßen, die weitergehen wird.
Nicole-Kristina David-Ulbrich:
Ich gebe Verhandlungstrainings für Frauen, ich mache Führungskräfteentwicklung für Frauen. Ich erlebe ganz oft, dass großartige Frauen mit wahnsinnig tollen Kompetenzen nicht bereit sind, sie zu zeigen. Sie hoffen, dass das irgendjemand entdeckt. Finde ich auch großartig. Aber nicht alle sind gut im Gucken. Also von daher ist es auch wichtig, sich selbst mehr zu zeigen, ins Gespräch zu gehen und zu gucken, wie es daheim ist oder auch in der Firma.
Kristin Derfler:
Wir müssen Männern reinen Wein einschenken, wenn wir Karriere machen wollen. Wenn wir kleine Kinder haben, addiert es sich. Das ist leider so. Es ist überhaupt kein Tipp, dann eben nachts zu arbeiten. Es addiert sich.
Nicole-Kristina David-Ulbrich:
Vielleicht geht es genau darum, dass es sich nicht mehr addiert, sondern dass es geteilt wird, dass man sich die Realitäten neu schafft, dass man ins Gespräch geht. Davor und danach. Währenddessen eigentlich ständig sich das bewusst macht und den Geschlechterkampf, der leider irgendwo immer noch geführt wird, zu einem Tanz macht. Dass man gemeinsam tanzt und gemeinsam Lösungen findet.
alle Fotos: Steffi Rose -> noch mehr Fotos von der Veranstaltung gibt es hier.
Transkript und redaktionelle Bearbeitung: Dagmar Möbius
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