Verbannt den Konjunktiv!

„Darum müsste sich mal jemand kümmern!“

Wird es darauf eine Reaktion geben? Wohl kaum.

Konstruktive Alternativen:

„Frau A, bis wann schaffen Sie es, die Situation dem Ordnungsamt schriftlich zu schildern?“

„Herr B, Sie hatten in der Angelegenheit schon einmal Kontakt zu XY. Bitte entwerfen Sie eine kurze Lösungsskizze bis heute in einer Woche!“

oder an eine Gruppe gerichtet:

„Sicher hat Jede/r schon konkrete Ideen, wie wir das Problem anpacken können.“

„Wir nehmen das Thema das nächste Mal auf die Tagesordnung. Dann hören wir alle möglichen Vorgehensweisen und diskutieren darüber.“

Empfehlung? Forderung? Gedankenspiel? Vergangenheit? Vorwurf? Wahrscheinlichkeit?

Der Konjunktiv hat viele Gesichter und mehrere Formen, die ich hier nicht vertiefe. Ich bin keine Linguistin und erteile keine Grammatik-Nachhilfe. Mir geht es darum, verwendete Sprachmuster bewusst zu machen und sie – wenn erforderlich – durch bessere auszutauschen. Wer klar spricht und schreibt, wird besser verstanden.

Besondere Vorsicht ist beim Konjunktiv II geboten. Er entführt uns in eine nichtreale Welt.

Hätte, könnte, müsste, sollte, wäre, würde.

Kennen wir alle, nutzen wir alle, lesen wir alle täglich. Zeitweise im Überfluss.

Das ist erstaunlich, wird uns doch nahegelegt, im Hier und Jetzt zu leben. Der Konjunktiv II bildet vermutete oder erwogene Tatsachen, überspitzt: Hirngespinste, ab, die nicht existieren.

Der Konjunktiv ist überall

Ich habe an einem beliebigen Tag (21. August 2021) Nachrichten-Beispiele bei Google News abgerufen. Die Auflistung erfolgt zufällig und wertet absichtlich nicht, wenngleich einige Schlagzeilen (ohne die vollständige Meldung) komisch klingen. Bemerken Sie Unterschiede?

Im Journalismus wird der Konjunktiv in allen Formen bewusst als Stilmittel eingesetzt. Für zwischen-den-Zeilen-Lesende ergeben sich mit dem vertieften Wissen möglicherweise neue Aha-Effekte.

  • Corona-Pandemie – Ständige Impfkommission hätte sich bessere Abstimmung bei möglichen Auffrischungsimpfungen gewünscht
    Deutschlandfunk
  • Young Euro Classic – Mozart hätte durchgetanzt
    Deutschlandfunk Kultur
  • Renteneintrittsalter: Welche Berufsgruppe am wenigsten von einer Rente ab 68 hätte
    WirtschaftsWoche
  • Armin Laschet könnte bei der Bundestagswahl einen Hillary-Moment erleben
    Augsburger Allgemeine
  • Studie: Wie Arbeit das Demenzrisiko senken könnte
    DER SPIEGEL
  • So könnte der Weg zum erfolgreichen Start-up gelingen – oder auch nicht
    derStandard.de
  • Klimawandel-Forscher – „Diesel müsste 87 Cent mehr kosten“
    Stuttgarter Zeitung
  • Schwerer Zoff zwischen Bosbach und Lauterbach: „Dafür müsste er Charakter haben“
    FOCUS online
  • 60 Jahre Mauerbau – Ostdeutsche Geschichte sollte im Westen Platz haben
    Deutschlandfunk
  • Angelo Kellys erster Song sollte „Pipi“-Problem lösen
    MDR
  • Ohne QR-Code wäre die Pandemie noch mühsamer, aber superzuverlässig ist er nicht
    Berliner Zeitung
  • Wir wären gute Eltern“: Jens Spahn wäre gerne Papa
    Tagesspiegel
  • Soziales: Laumann wäre froh über „Lokführer-Moment in der Pflege“
    ZEIT ONLINE
  • Mark Foster spricht über sein Privatleben: „Ich würde fast sagen, ich bin glücklich“
    RTL online
  • Wie ich 500 GBP in britische Aktien investieren würde
    Boerse-express.com

Richtig und sparsam anwenden – Unklarheiten vermeiden

Natürlich ist der richtig eingesetzte Konjunktiv berechtigt. Ist er es nicht, kommt es zu Missverständnissen. Oder wir wundern uns, dass Gewünschtes ausbleibt. Warum? Die zielgerichtete Aussage, zum Beispiel eine konkrete Handlungsaufforderung, fehlt. Wir kennen das von Forderungen an die Politik. Sie strapazieren kurz unsere Aufmerksamkeit. Da wir aber (meist) nicht angesprochen sind, rauschen die Worthülsen vorbei. Liegt uns an einem optimalen kommunikativen Austausch, empfehle ich, den Konjunktiv so sparsam wie möglich zu nutzen.

Erlaubte Ausnahme: Höflichkeitsfloskeln

Je höflicher, desto mehr Konjunktiv II. So lautet die einzige Ausnahme alles oben Gesagten. Die Wirkung der Unterschiede können Sie selbst an den folgenden Beispielen vergleichen:

Ruhe!

Sei leise!

Kannst du bitte leise(r) sein?

Kannst du bitte etwas leiser sprechen?

Kannst du bitte die Musik leiser stellen?

Würdest du bitte nicht so schreien?

Wärst du so nett und sprichst nicht ganz so laut?

Dürfte ich Sie bitten, die Musik leiser zu stellen?

Wären Sie so freundlich und könnten in Zimmerlautstärke telefonieren?

Selbstreflektieren, Texte optimieren

Auch bei Berufsschreiber*innen können sich unpräzise Worte einschleichen. Ich überprüfe meine eigene Sprachpraxis regelmäßig – verbal wie schriftlich. Menschen in meinem Umfeld dürfen und sollen mich aufmerksam zu machen, wenn ich mich unklar ausdrücke. Regelmäßige Weiterbildungen, Textschulungen und kollegialer Austausch sind selbstverständlich.

Haben Sie einen Text (Anschreiben, Pressetext, Rede oder Artikel), den Sie treffsicher formuliert haben möchten? Ich optimiere Ihre Entwürfe, individuell und angepasst an Ihr Anliegen: für Print, Online und nach Absprache für Audio.

Dagmar Möbius ist Journalistin und Autorin.

Sie recherchiert und schreibt vorrangig über Themen aus den Bereichen Gesundheit und Soziales für Zeitungen, (Fach-)Magazine und Onlinemedien. Sie erstellt Texte für Imagebroschüren und Webseiten, verwandelt Vorlagen in lesbare Formate und führt bei Bedarf Workshops durch. Seltener –
nur wenn ein Konzept sie überzeugt – berät, konzipiert und betreut sie die Presse- und
Öffentlichkeitsarbeit von Unternehmen.

https://www.dagmar-moebius.de/

Dagmar Möbius
Dagmar Möbius, freie Journalistin und Autorin.

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