Ungeliebte Kundschaft — jedes Mal ein Abwägen

Gerade am Anfang, wenn du frisch in die Selbstständigkeit startest, nimmst du vermutlich jeden Auftrag dankbar an. Zumindest ging es mir so. Ich war froh um jede Person, die auf mich zukam.

Ich brauchte das Geld, ich wollte Erfahrung sammeln, ich wollte mir eine Kund*innenbasis aufbauen — und ehrlicherweise konnte ich „gute“ von „schlechten“ Kund*innen gar nicht unterscheiden.

Und so nahm ich Aufträge an, die mich viel Zeit kosteten, bei denen die Voraussetzungen nicht stimmten oder die viel zu ungenau formuliert waren.

Ich zahlte viel Lehrgeld — und zahle es auch heute immer noch manchmal.

Denn natürlich verändern wir uns. Mit diesen Veränderungen ändert sich auch unsere Vorstellung vom Wunschkunden oder der Wunschkundin.

Auch heute noch habe ich zwar dieses Bild meiner Wunschkundin, aber ich habe auch immer wieder Aufträge von Menschen oder Firmen, die ganz anders ticken. Und manchmal gibt es auch Auftraggeber*innen, die immer wieder zu mir kommen, die ich aber mittlerweile gar nicht mehr haben will.

Da stellt sich also immer wieder die Frage: Wie gehe ich mit ungeliebter Kundschaft um?

Und wie definiere ich überhaupt ungeliebte Kundschaft?

Was ist ungeliebte Kundschaft?

Für mich sind das entweder Projekte, deren Struktur mir nicht gefällt, Menschen, mit denen ich nicht gerne arbeite, oder Themen, die ich nicht mag.

  • Projektstruktur: Zur Projektstruktur gehören für mich neben Dauer und Umfang des Projektes auch Aspekte wie die Entlohnung (Stundensatz, Pauschalpreis, eine Mischung aus beidem), die Kommunikation und die Genauigkeit des Auftrags sowie meine persönliche Lernkurve.
  • Menschen: Klar: Als Dienstleisterin passe ich mich meinen Auftraggeber*innen an. Das funktioniert aber nur bis zu einem gewissen Maße. Und ich weiß genau: Manche Menschen finde ich so anstrengend, dass ich überhaupt gar keine Lust habe, auch nur mit ihnen zu kommunizieren.
  • Themen: „Vielseitig interessiert“ stand mal irgendwann in meinem Grundschulzeugnis. Ja, ich kann vielen Themen etwas abgewinnen. Aber halt nicht allen.

Am einfachsten ist es, wenn alle drei Aspekte zum selben Ergebnis kommen: „Auftrag annehmen“ oder „Auftrag ablehnen“.

Schwieriger wird es, wenn das Thema zwar interessant ist, aber ich mit dem Stundensatz nicht einverstanden bin. Oder ich mag den Menschen, aber die Projektstruktur ist mir zu wurschtelig.

Da heißt es jedes Mal: Abwägen.

Wie gehe ich mit ungeliebter Kundschaft um?

Als ich beschloss, diesen Beitrag zu schreiben, gab es einen konkreten Anlass. Schon häufiger hatte ich für ein großes Portal gearbeitet. Und schon häufiger war ich damit auf die Nase gefallen. Ich wollte deshalb keine Aufträge dieses Portals mehr annehmen.

Das war vor vier Monaten.

Vorletzte Woche habe ich dann doch wieder einen Auftrag angenommen. Es herrschte eine Auftragsflaute in meinem Mail-Postfach, sodass ich das Projekt und die ausgeschriebene Entlohnung sah und sofort zusagte.

Nun ja.

Der Stundenlohn lag letztendlich — mal wieder — unter dem Mindestlohnniveau. Und ich habe mich natürlich geärgert. So richtig.

Andererseits… Morgen ist die Rechnung fällig, und ich weiß genau, wie gut mir der Blick auf’s Konto gefallen wird!

Blöde Aufträge rauben Energie

Ich bin kein Einzelfall. Vielleicht hast du schon mal davon gehört, dass die meisten Aufträge gar keine Gewinne bringen?

Eine Studie von McKinsey aus dem Jahr 2018 untersuchte beispielsweise die Einnahmen und Gewinne von Unternehmen in verschiedenen Branchen und stellte fest, dass in vielen Unternehmen eine kleine Anzahl von Projekten für einen Großteil der Einnahmen und Gewinne verantwortlich ist. So generierten beispielsweise in der Baubranche etwa 30 Prozent der Projekte 90 Prozent der Gewinne. Ähnliche Ergebnisse wurden auch in anderen Branchen wie dem Maschinenbau oder der IT-Branche gefunden.

Eine andere Studie von Deloitte aus dem Jahr 2020 stellte fest, dass nur etwa 20 Prozent der Projekte für einen Großteil des Gewinns verantwortlich sind, während die übrigen 80 Prozent nur geringe oder sogar negative Gewinne erzielen.

Natürlich variieren die genauen Zahlen je nach Branche und Unternehmen. Große Unternehmen haben auch andere Strukturen als kleine Unternehmen oder Solo-Selbstständige. Und wiederkehrende Projekte haben andere Margen als einmalige Aufträge.

Doch eines bleibt: Je mehr Aufträge aus der Kategorie „frisst Ressourcen“ wir annehmen, desto schneller werden wir k.o. geschlagen. Wir verdienen zu wenig oder verbrauchen unsere anderen Ressourcen: Energie, Lust auf die Arbeit, Arbeitsmittel, Kontakte.

Und wir haben schlicht weniger Zeit für die tollen Aufträge — diejenigen, für die wir uns selbstständig gemacht haben, die wir genießen, über die wir gerne sprechen und die uns zeigen: Ich mache meinen Job, weil ich gut darin bin UND ihn gerne mache.

Übrigens sind tolle Aufträge nicht immer diejenigen mit dem höchsten Stundenlohn. Denn neben Geld gibt es eben auch andere Währungen. Eine gelungene Veranstaltung, die Unterstützung eines Herzensprojektes, Weiterbildung. Nur: All diese Dinge können wir nur angehen, wenn auch die finanzielle Grundlage da ist.

Abwägen – jedes Mal auf’s Neue

Leider komme ich nun also am Ende dieses Beitrags nicht auf die einfache Formel „nimm nur noch Aufträge an, die dir zu 100 Prozent passen“. Denn damit würde ich unterschlagen, dass niemand von uns im luftleeren Raum agiert.

Wir alle haben Rechnungen zu begleichen und Steuern zu zahlen.

Wir sind uns manchmal nicht darüber im Klaren, wie genau ein Auftrag abläuft.

Wir nehmen manchmal einen Auftrag an, weil wir auf lukrative Folgeaufträge hoffen.

Wir müssen spannende Aufträge ablehnen, weil die Familie Priorität hat oder weil ein ungeliebter Auftrag noch nicht fertig ist. Oder wir einfach mal Urlaub machen oder krank sind.

Und so bleibt es ein Abwägen. Und ein Lernprozess. Von heute auf morgen geht es nicht, aber wir können uns annähern, langsam die Quote der Top-Aufträge erhöhen, klug vorausplanen und dann hoffentlich immer häufiger sagen:

„Ja, das mache ich, falls du meine Konditionen erfüllen kannst.“ Und dann je nach Fall mit einem „Hell Yes“ ins Projekt springen oder dankend, freundlich und klar ablehnen.

Katharina Tolle schreibt — am liebsten über Geburten, Feminismus und Unternehmerinnen. Oder alles drei zusammen.

Und sie liest — am liebsten über Geburten, Feminismus und Unternehmerinnen. Oder alles drei zusammen.

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Katharina Tolle, Autorin von individuellen Geburtsgeschichten, Coach für selbstbestimmte Geburten und Bloggerin zum Komplex Geburten, Feminismus und Selbstständigkeit.

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